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Erinnerungen an einen hochgeschätzten Kollegen

Dr.Busse LG
Mein Fachkollege Eckart Busse hat letztlich so viele prägende und nachhaltige Eindrücke bei mir hinterlassen, dass ich mich auf die wesentlichen und für die Schulgemeinde interessantesten beschränken möchte. Als mir bewusst wurde, dass Eckart Busse schon am 30.9.2000 aufgrund eines Hörsturzes vorzeitig aus dem Schuldienst ausscheiden musste, war ich sehr erstaunt: Wir haben also nur gut sieben Jahre zusammen gearbeitet; ich hätte vermutet, dass es viel mehr Jahre waren, weil so viel passiert ist – für die Schule, für mich und mit Sicherheit auch für ihn.

Im Februar 1993 kam ich nach elf Jahren Engelsburg ans OSGO und traf dort auf Dr. Eckart Busse, einen Musikkollegen, der in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Persönlichkeit war. Sein umfassendes Wissen über nahezu alle Bereiche der Musik, sein unnachahmlicher Umgang mit den OberstufenschülerInnen, seine herausragenden Erfolge mit der Big Band räumten ihm in der Schule eine fast unangefochtene Sonderstellung ein, die sich u.a. darin zeigte, dass er „nur“ Musik unterrichtete, sein zweites Fach Deutsch jedoch nie. Zudem hatte er sein eigenes „Reich“ im 3. Stock der Schule, man traf Eckart selten im Lehrerzimmer an. Rund um den großen Musiksaal mit seinen diversen kleinen Nebenräumen spielte sich das musikalische Leben der Schule seit rund 20 Jahren ab. Einige SchülerInnen gingen an manchen Tagen erst spätabends nach Hause, ein Hinweis darauf, dass sie sich dort oben zuhause fühlten. Das Verhältnis der OberstufenschülerInnen zu ihrem Musiklehrer Dr. Busse war in meinen Augen immer etwas mehr als eine „normale“ gute Lehrer-Schüler-Verbindung, es war geprägt von intensiver Zuwendung von Seiten des Lehrers und tiefempfundenem Respekt von Seiten der SchülerInnen, was natürlich durch das gemeinsame Musizieren verstärkt wurde. Dass Eckart vor allem seinen LK-SchülerInnen viel Vertrauen entgegenbrachte, spiegelte sich darin, dass er z.B. SchülerInnen seiner Leistungskurse die „Schlüsselgewalt“ übertrug, damit sie auch ohne ihn an Instrumente, Equipment und Notenmaterial herankommen konnten um zu üben oder Proben vorzubereiten. Und soweit ich das mitbekommen habe, ist dieses Vertrauen nie missbraucht worden.

Vor allem zwei der oben erwähnten Nebenräume des Musiksaales hatten für Eckart Busse, seine SchülerInnen, aber auch für diverse Kollegen anderer Fachbereiche und mich als zunächst einziger Kollegin eine wichtige kommunikative Funktion: Der etwas größere der beiden Räume diente eigentlich als Noten-, Bücher- und Partiturenlagerraum und enthielt neben einem funktionslosen medialen Steuerpult den umso besser funktionierenden Kühlschrank und die unverzichtbare Kaffeemaschine; der zweite, etwas kleinere Raum, war eigentlich das Instrumentenlager, in das eine dreistufige Treppe vom Musiksaal aus hinunterführte. Dort stand ein Tisch mit Eckarts großem schwarzen Schreibtischsessel davor, vor den Regalen mit den Instrumenten befanden sich meist 3 bis 5 Stühle. In den großen Pausen und Freistunden waren diese beiden Räume der Treffpunkt all jener, die etwas mit Eckart zu besprechen hatten, die Kaffee trinken und dabei rauchen wollten, und das waren manchmal recht viele, sodass die drei Stufen der Treppe zum Instrumentenlager als Sitzplätze herhalten mussten. Am Ende der Pause war der kleine Raum oft derart vernebelt, dass man sein Gegenüber kaum erkennen konnte. Aber es war so gemütlich dort, vor allem wenn dann auch noch von einer „lieben Seele“ Kekse oder Kuchen beigesteuert wurden. Hier „residierte“ Dr. Eckart Busse im sogenannten „Allerheiligsten“, wie seine SchülerInnen diesen kleinen Raum nannten.

Eine Szenerie bleibt vor meinem geistigen Auge stets präsent, wenn ich an Eckart denke: Ich unterrichte im Musiksaal, die Tür zum „Allerheiligsten“ öffnet sich, ein Schwall Rauch wabert in den Saal und Eckart erscheint auf der Bühne, in der rechten Hand den Kaffeebecher, in der linken die obligatorische Pfeife; in aller Ruhe schreitet er über die Bühne in den anderen Nebenraum, füllt den Kaffeebecher und kehrt auf demselben Weg ins „Allerheiligste“ zurück. Meine Reaktion als neue Kollegin war natürlich zunächst stillschweigende Irritation. Ich habe diesen – vor allem für die Fünftklässler – überaus interessanten Vorgang einige Zeit beobachtet und gedacht, dass es sich dabei ja wohl um eine über 20-jährige lieb gewonnene Angewohnheit handelte, die nicht einfach so von heute auf morgen abgestellt werden konnte. Also ging ich ab und an dazu über, Eckart in den Unterricht miteinzubeziehen, sobald er im Saal erschien. Dies führte oftmals zu sehr fruchtbaren Unterrichtssituationen, etwa als es im Oberstufenunterricht um die Zwölftonmusik ging und eine Diskussion mit den SchülerInnen über den „Wert“ dieser Musik und den Umgang von Schönberg, Berg und Webern mit dem Publikum entbrannte. Oder er setzte sich mal schnell, um mich zu begleiten, an den Flügel, damit ich dirigieren konnte. Diese Aufzählung könnte ich fortsetzen – für mich unvergesslich!

Ende der 90er Jahre stand dann das „Allerheiligste“ mehr oder weniger vor dem Aus, als ein allgemeines Rauchverbot eingeführt wurde und aus Brandschutzgründen sämtliche Elektrogeräte abgeschafft werden mussten; für Eckart war das nicht leicht, weil für ihn damit irgendwie eine Ära zu Ende ging. Wobei dieser Prozess im Prinzip schon mit dem Beginn der Umwandlung des OSGO in die Lichtenbergschule einsetzte, als plötzlich kleine Kinder vor dem Musiksaal herumtobten und auch ich als neue Kollegin meinen Platz in der Schule finden wollte. Glücklicherweise kollidierten Eckarts und meine Ambitionen, was den außerunterrichtlichen Teil unseres Musiklehrerdaseins ausmachte – Aufbau eines Orchesters bzw. Leitung der Big Band – nie miteinander, die Ausrichtung gemeinsamer Konzerte funktionierte reibungslos. Einige Überzeugungskraft war allerdings erforderlich, der Big Band klar zu machen, dass ein gefüllter Bierkasten hinter der Bühne der Stadthalle Baunatal während der gemeinsamen Schulkonzerte mit UnterstufenschülerInnen nicht angemessen war. Der Bierkasten gehörte schließlich der OSGO-Vergangenheit an. Etwas anders stellte sich die Situation dar, als es um die Leitung der Leistungskurse ging, ein bis dahin nicht hinterfragtes Privileg Eckarts. Den Versuch, dieses Privileg für sich zu behalten, kann ich absolut nachvollziehen, denn auch für mich bedeutete das Unterrichten in einem Musikleistungskurs sehr viel Freude und Erfolgserlebnisse, was man sich natürlich nicht nehmen lassen will. Aber auch in diesem für uns beide sensiblen Bereich haben wir uns gütlich geeinigt.

Rückblickend auf die gemeinsamen sieben Jahre kann ich sagen, dass wir uns nie gestritten haben, obwohl wir beide sicherlich keine Teamplayer waren, oder vielleicht auch gerade, weil wir keine waren. Der Gedanke, ich mache das lieber selbst, dann wird es so, wie ich das möchte, kennzeichnete seine Vorgehensweise im jeweiligen Aufgabenbereich ebenso wie die meine. Die Arbeit war geprägt von gegenseitigem Respekt und Hochachtung vor der Leistung des jeweils anderen.

Sehr viel bedeutet haben mir seine warmherzigen Glückwünsche zu dem gelungenen Jubiläumskonzert in der Martinskirche im Februar 2013, als er mir versicherte, dass ich mein anvisiertes Ziel, auch die klassische Musik an unserer Schule mit leistungsfähigen Ensembles zu etablieren, erreicht hätte.

Eckart war für mich ein Kollege mit immenser fachlicher Kompetenz und einer persönlichen Ausstrahlung, die ihm Respekt, Anerkennung und damit so manche Privilegien zubilligten. Er wirkte stets in sich ruhend und souverän, „rastete“ nie aus, war dabei aber mit einer Begeisterungsfähigkeit ausgestattet, die vor allem bei seinen SchülerInnen der Leistungskurse und der Big Band Leistungsbereitschaft und Lernwillen hervorriefen. Viele von ihnen sorgten auch nach ihrem Abitur für das jahrelange Fortbestehen der Big Band.

Dr. Eckart Busse war einer jener Kollegen, über die immer wieder gesprochen wurde und immer noch wird. Er wird stets als hochgeschätzter Kollege in meiner Erinnerung bleiben.

Kassel, im Oktober 2020 – Hildegard Hirosawa

© Lichtenberg-Schule, 2020